Verantwortungstraining? Zum Teufel, ja!

Spielerisch übe ich jeden Tag ein wenig um meinen Verantwortungsmuskel von John Hurt nach Arnold Schwarzenegger zu transformieren. Dabei hilft mir ein ganz einfaches Rezept, dessen Anwendung ich mit Leichtigkeit und Beharrlichkeit meistern kann. Geht das? Wenn ich Christopher Averys “The Responsibility Process” lese, denke ich ja oder wie es im Buch beschrieben wird: “zum Teufel ja!”

Um was geht’s?

Also wie geht’s und was ist dieser Prozess aus dem Titel? Der Responsibility Process ist ein Werkzeug zur Selbstführung im Umgang mit Problemen. Wenn ich auf etwas treffe was mich nervt nehme ich demnach verschiedene Haltungen oder Perspektiven zu meinem Problem ein:

  • Beschuldigen: Die anderen sind doof
  • Rechtfertigen: Die Umstände sind doof
  • Schämen: Ich bin doof
  • Verpflichtung: Die Lösung ist doof
  • Bis zur Verantwortung: Ok, um was geht’s eigentlich? Ich nehm’s zu mir und pack’s an.

Der Prozess ist der Steigbügel für den Aufstieg auf das Pferd der Selbstbestimmung. Der Ritt kann anstrengend werden aber ich will die Zügel selbst in die Hand nehmen. Ich bestimme wo es hingeht, aber nicht was mich dort erwartet. Es geht also nicht ausschließlich darum das Problem zu lösen, sondern einen authentischen Umgang damit zu finden. Dazu unterscheidet Christopher Avery zwischen Verantwortlichkeit und Verantwortung. Verantwortlichkeit kann aus aus einer Einigung im Außen entstehen. Ich kann zum Beispiel verantwortlich sein, den Abwasch zu machen, weil ich es zugesagt habe. Verantwortung bezieht sich aber immer auf mich selbst. Ich kann mich also entscheiden den Abwasch nicht zu machen, weil ich spüre, dass ich eine Pause brauche und deswegen lieber in der Mittagssonne spazierengehe.

Auf dem Weg zur Verantwortung gibt’s zwei Abzweigungen:

  • Leugnen: Das Problem existiert nicht
  • Aufgeben: Ich werde das Problem nie lösen

Wie geht das?

Sehe ich mich einem Problem konfrontiert kann ich mir bewusstmachen, dass ich diese verschiedenen Perspektiven einnehme. Ich kann lernen mit ein paar einfachen Kniffen die Perspektive zu wechseln um in Verantwortung zu kommen. Um das zu schaffen brauche ich die drei Schlüssel:

  • Absicht: Ich will es nicht so wie es ist, sondern so wie ich es will. Das ist etwas kompliziert. Dazu komme ich später noch.
  • Aufmerksamkeit: Ich schaue hin und nehme wahr
  • Sich stellen: Ich habe erkannt dass da was nicht stimmt und nehme mich meines Problems an.

Jetzt also zur Absicht. Die Frage: “Was will ich eigentlich wirklich?” ist für mich oft nicht leicht zu beantworten. Im Buch gibt es eine Übung dazu, die mir allerdings noch nicht geholfen hat. Im Wesentlichen geht es darum, mich in eine gute Stimmung zu versetzen über die Dinge nachzudenken, die mir wichtig sind und eine Liste zu erstellen. Es geht aber auch mit Hilfe des Prozesses selbst. Ich erkläre mir mir die Absicht öfter in die Haltung der Verantwortung zu kommen also öfter aus einem der anderen Zustände herauszukommen. Erwische ich mich in so einem Zustand, kann ich versuchen nicht mehr zu beschuldigen, mich nicht mehr zu schämen und mich stattdessen dem Problem annehmen und Freude daran empfinden, dass ich etwas lernen darf. Um das Dranbleiben zu erleichtern ist diese Übung natürlich mit dem “Erwisch Dich früher Spiel” gamifiziert.

Was nehme ich mit?

Hm, wie geht’s jetzt weiter? Wie es ein Sachbuch mit sich bringt, habe ich jetzt Wissen über ein Werkzeug, Ich bin interessiert aber nicht berührt. Ich habe kein Erlebnis, keine Erfahrung. Dafür bin ich selbst zuständig und will loslegen. Ich erkläre die Absicht mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich will meine Aufmerksamkeit trainieren um schneller zu entdecken, wann ich mit einem Problem Stehblues tanze. Mal schauen, wie sich das auf meine Art der Problembehandlung auswirkt. Das Buch bietet dazu handfeste Anregungen:

“Es gibt unzählige Ansätze, um ihr Bewusstsein für mehr AUFMERKSAMKEIT zu erweitern: Meditation, Yoga, Atemtechniken, Persönlichkeitstraining, Kampfsport, Psychoanalyse, 360-Grad-Feedback, Tagebuchschreiben, Videos von sich selbst beim Präsentieren schauen, Life-Coaching, Schauspiel- oder Improvisationsunterricht, Sprachtraining, Leadership-Entwicklung, Kunst und viele mehr.”
Christoher Avery, “The Responsibility Process”

Mal schauen auf was ich stoße…

Selbstverantwortung auf Finnisch

Verantwortung ist mein persönlicher Schwerpunkt des Jahres 2024. Deswegen habe ich mich entschieden den Großteil der Bücher, die ich dieses Jahr lesen werde, danach auszuwählen ob sie mich in diesem Thema weiterbringen können. Ob das gelingt, beschreibe ich. Legen wir los mit:

“Das Jahr des Hasen” von Arto Paasilinna

“Zwei Männer fuhren zur Mittsommerzeit eine Sandstraße entlang. Sie waren übermüdet und die untergehende Sonne, die durch die staubige Frontscheibe drang, blendete sie. Die finnische Landschaft zog an ihnen vorüber, aber die Schönheit des Abends ließ sie vollkommen gleichgültig.”

Ein trüber Start der dazu einlädt mal genauer auf das eigene Handeln zu schauen um zu prüfen, ob das so sinnvoll ist, was die beiden Herren tun. Dazu braucht es aber einen Anstoß. Die beiden fahren einen Hasen an und einer der beiden – namens Vatanen – steigt aus, sucht das Tier und verbindet dessen gebrochenen Hinterlauf. Beide entscheiden sich im Wald zu bleiben. Der eine fährt weiter und bleibt in seinem Leben mit der staubigen Frontscheibe. Der andere Kaarlo Vatanen, einfach nur Vatanen genannt. Zieht mit dem Hasen weiter und zerschneidet seine alten Bande zu Job, Stadt und Frau.

Der Hase bleibt bei ihm. Die Pfote heilt. Die beiden werden unzertrennliche Freunde und erleben eine Menge Abenteuer gemeinsam. Vatanen rettet den Hasen unter anderem vor aufgehetzen Hunden, der Gattin eines schwedischen Militärattachés. einem schießenden Pfarrer und einem Skilehrer mit einer besonderen Vorliebe für Tieropfer, die er aus seiner Beschäftigung mit den Riten finnischer Schamanen gewonnen hat und einem Bären, den er bis über die russische Grenze jagt. Der Hase bleibt Vatanen treu und folgt ihm ungeachtet aller Entbehrungen.

Vatanens Leben ändert sich. Er nimmt sein Handeln in Besitz und entscheidet sich gegen sein altes Leben in Helsinki für ein neues Leben mit weniger festen Bindungen und mehr Freiheit. Er verdient sein Geld mit harter Arbeit im Finnischen Wald und der Instandsetzung von Hütten. Wenn er Menschen kennenlernt, die er mag verbringt er gerne Zeit mit ihnen um zu angeln, Schnaps zu trinken oder Sex zu machen. Für mich der Schlüsselsatz:

“So ein Leben kann jeder führen, wenn er es nur fertigbringt, auf sein früheres Leben zu verzichten.”

Mensch gegen System

Vatanen hat sich befreit. Dabei hat er im Wortsinn eine Grenze überschritten. Auf sein Handeln gibt es seine Perspektive. Es gibt aber auch die Sicht des Systems. Das klingt dann so:

“Er hatte (1) mehrfachen Ehebruch begangen. Er hatte (2) die Behörden in die Irre geführt indem er (3) und (4) keine An- und Abmeldung des Wohnsitzes vorgenommen hatte […] Er hatte (5) mehrere Tage ein Wildtier ohne entsprechende Genehmigung mit sich geführt.”

Das geht dann so weiter bis 22 illegale Bärenjagd. Achtund Spoiler. Vatanen kommt also in’s Gefängnis. Der Perspektivwechsel findet dabei auf zwei Ebenen statt: Zum einen verändert sich die Sprache. Vatanen selbst würde nicht von Ehebruch oder dem Mitsichführen eines Wildtiers. Er hat in dem Hasen einen Freund gefunden, den er beschützen will. Zum anderen ändert sich die Bewertung. Es geht nicht mehr um Freiheit und Selbstverantwortung sondern es geht um Regeln und die Macht ein Urteil fällen zu können.

Was nehme ich mit?

Verhaltensänderungen brauchen manchmal einen Auslöser, in diesem Fall einen Crash. In solchen Situationen ist es hilfreich, innezuhalten um neue Impulse zu spüren, neue Möglichkeiten zu entdecken und ihnen folgen zu können. Wenn ich etwas Neues mache, muss ich etwas altes aufgeben. Ich muss mich entscheiden, für das eine, gegen das andere. Diese Entscheidung kann ich bewusst oder unbewusst machen. Ich treffe sie erst mal nur für mich alleine. Wenn ich etwas anders mache, mache ich auch andere Erfahrungen und erlebe neue Dinge. In Vatanens Fall stehen die Stadt, die Kultur und das geregelte Leben auf der einen Seite. Dem gegenüber steht das Leben in der Natur, mit weniger festen Bindungen und einer größeren Einfachheit. Das klingt sehr romantisch. Eine der Flüchte aus Tagträumen. Wenn’s mal nicht so läuft. Einfach alles aufgeben und der Nase nach.

Neben eigenen Freiheit, der Freiheit der Seele gibt es aber auch noch die Freiheit der Öffentlichkeit. Ich meine damit die Möglichkeit das was ich vorhabe auch äußern und umsetzen zu können. Geht also das eine ohne das andere? Kann ich für mich alleine frei sein, trotz der äußeren Grenzen? Das Ende des Buches gibt dazu eine Antwort.

Lies selbst!

Radio cyne

Ich sitze vor einem gefliesten Couchtisch. Das Sofa besteht aus zwei Bettkästen mit Matratzen, die als L zusammengestellt wurden. Neben mir ist eine kleine Einbauküche. An der Wand zum Fenster vor mir eine riesige Tischplatte mit mehreren Monitoren. Darauf und darunter blinken und leuchten die LEDs der Computer. Ich schaue auf ein kleines blaues Licht das die Aktivität einer externen Festplatte anzeigt, von der gerade Musik abgespielt wird. Sie steckt in einem durchsichtigen Gehäuse. Auf dessen Front steht Radio cyne. Es ist ein Willkommensgeschenk, über das ich mich gerade tierisch freue.

Heute ist der Tag an dem Entscheidungen für eine Zusammenarbeit getroffen werden. Sierk und Thomas entscheiden, dass sie es mit mir ausprobieren möchten und ich in die Firma einsteigen kann. Ich entscheide mich für die Selbständigkeit während der letzten Monate meines Studiums.

Ich habe Sierk vor vier Jahren während des Zivildienstes kennengelernt. Während des Studiums sind wir in losem Kontakt geblieben. Sierk kennt Thomas schon von der Schulzeit. Sie haben ein Unternehmen gegründet um rauszufinden wie das so ist. Sie machen Webdesign und richten Netzwerke und Server ein. Thomas bringt noch sein Lotus Notes wissen ein, dass er sich in seinem dualen Studium gerade aneignet. Der Firmenname cyne ist das Ergebnis vieler kreativer Sessions des Suchens, Überdenkens und neu Kombinierens, die stattfanden bevor ich eingestiegen bin.

Ich habe während meines Informatikstudiums Praktika und Studentenjobs im Bereich der Webentwicklung mit Java absolviert und möchte diese Kenntnisse mit in das Unternehmen einbringen. Wir haben ein Büro ist ein Raum in einer Büroetage in Muggensturm einem Dorf 20 km südlich von Karlsruhe. Es ist eingerichtet mit einem Sammelsurium aus Büro und Essmöbeln auf dem unsere Rechner stehen und einer Matratze auf der wir uns ausruhen können.

Unsere Nachbarn und Vermieter vertreiben verschiede Produkte wie Kaffeemaschinen und Inkontinenzprodukte. Im Meetingraum, den wir uns teilen können, stehen Kisten mit Windeln. Die ersten ersten Monate sind wir fast ausschließlich im Büro. Wir setzen unsere Infrastruktur auf, versuchen Kunden zu finden und arbeiten unsere Aufträge ab. Dazwischen schreibe ich meine Diplomarbeit. Wir scherzen darüber die Windeln zu tragen um natürliche Unterbrechungen unserer Arbeit zu reduzieren.

Unsere Einnahmen investieren wir in das Unternehmen. Wir kaufen passende Hardware, Software und Büroausstattung wie z.B. zwei Leuchttische für die gestalterische Arbeit. Wissen das uns fehlt eignen wir uns durch Bücher und ausprobieren an. Ich fühle mich im Flow, zu Hause bei mir selbst. Unsere Arbeitstage sind sehr lange und sehr erfüllend. Das gemeinsame Erforschen, Lernen und Gestalten, die Freude daran eine schwere Nuss geknackt zu haben und die Unterstützung, die wir uns geben, lassen alle Mühen und Zweifel winzig erscheinen.

Das Empfinden von Flow und die Freiheit zu gestalten sind bis heute für mich die größten Treiber für meine Selbständigkeit. Radio cyne war für mich ein Kipppunkt. Vielen Dank Sierk und Thomas.

Im September 2003 bin ich mit meinem Studium fertig. Sierk und Thomas sind noch in ihren Ausbildungen. Unsere verfügbare Zeit ist also zum ersten mal unterschiedlich verteilt. Die Frage ist wie gehen wir damit um?