Ich sitze vor einem gefliesten Couchtisch. Das Sofa besteht aus zwei Bettkästen mit Matratzen, die als L zusammengestellt wurden. Neben mir ist eine kleine Einbauküche. An der Wand zum Fenster vor mir eine riesige Tischplatte mit mehreren Monitoren. Darauf und darunter blinken und leuchten die LEDs der Computer. Ich schaue auf ein kleines blaues Licht das die Aktivität einer externen Festplatte anzeigt, von der gerade Musik abgespielt wird. Sie steckt in einem durchsichtigen Gehäuse. Auf dessen Front steht Radio cyne. Es ist ein Willkommensgeschenk, über das ich mich gerade tierisch freue.
Heute ist der Tag an dem Entscheidungen für eine Zusammenarbeit getroffen werden. Sierk und Thomas entscheiden, dass sie es mit mir ausprobieren möchten und ich in die Firma einsteigen kann. Ich entscheide mich für die Selbständigkeit während der letzten Monate meines Studiums.
Ich habe Sierk vor vier Jahren während des Zivildienstes kennengelernt. Während des Studiums sind wir in losem Kontakt geblieben. Sierk kennt Thomas schon von der Schulzeit. Sie haben ein Unternehmen gegründet um rauszufinden wie das so ist. Sie machen Webdesign und richten Netzwerke und Server ein. Thomas bringt noch sein Lotus Notes wissen ein, dass er sich in seinem dualen Studium gerade aneignet. Der Firmenname cyne ist das Ergebnis vieler kreativer Sessions des Suchens, Überdenkens und neu Kombinierens, die stattfanden bevor ich eingestiegen bin.
Ich habe während meines Informatikstudiums Praktika und Studentenjobs im Bereich der Webentwicklung mit Java absolviert und möchte diese Kenntnisse mit in das Unternehmen einbringen. Wir haben ein Büro ist ein Raum in einer Büroetage in Muggensturm einem Dorf 20 km südlich von Karlsruhe. Es ist eingerichtet mit einem Sammelsurium aus Büro und Essmöbeln auf dem unsere Rechner stehen und einer Matratze auf der wir uns ausruhen können.
Unsere Nachbarn und Vermieter vertreiben verschiede Produkte wie Kaffeemaschinen und Inkontinenzprodukte. Im Meetingraum, den wir uns teilen können, stehen Kisten mit Windeln. Die ersten ersten Monate sind wir fast ausschließlich im Büro. Wir setzen unsere Infrastruktur auf, versuchen Kunden zu finden und arbeiten unsere Aufträge ab. Dazwischen schreibe ich meine Diplomarbeit. Wir scherzen darüber die Windeln zu tragen um natürliche Unterbrechungen unserer Arbeit zu reduzieren.
Unsere Einnahmen investieren wir in das Unternehmen. Wir kaufen passende Hardware, Software und Büroausstattung wie z.B. zwei Leuchttische für die gestalterische Arbeit. Wissen das uns fehlt eignen wir uns durch Bücher und ausprobieren an. Ich fühle mich im Flow, zu Hause bei mir selbst. Unsere Arbeitstage sind sehr lange und sehr erfüllend. Das gemeinsame Erforschen, Lernen und Gestalten, die Freude daran eine schwere Nuss geknackt zu haben und die Unterstützung, die wir uns geben, lassen alle Mühen und Zweifel winzig erscheinen.
Das Empfinden von Flow und die Freiheit zu gestalten sind bis heute für mich die größten Treiber für meine Selbständigkeit. Radio cyne war für mich ein Kipppunkt. Vielen Dank Sierk und Thomas.
Im September 2003 bin ich mit meinem Studium fertig. Sierk und Thomas sind noch in ihren Ausbildungen. Unsere verfügbare Zeit ist also zum ersten mal unterschiedlich verteilt. Die Frage ist wie gehen wir damit um?